LESEPROBE 6

Naturzerstörung als Verlust biologischer Ordnungsstrukturen

   „Wo heute Tier- und Pflanzenarten aussterben, hinterlassen sie biologische Lücken im systemischen Zusammenhang der Lebenswelt. Das ökologische Netzwerk des Lebens wird an vielen Stellen zerrissen und löchrig. Die Leerstellen, die diese Lücken für sich und alle zusammen bilden, sind verschwundenes Leben: verschwundene biologische Ordnungsstrukturen, fehlende Knoten im ökologischen Netzwerk des Lebens, verschwundener Reichtum der Schöpfung. Die allgemeine ‚Leere‘, die dort entsteht, wo das Leben verschwindet, breitet sich heute aus wie das ‚Nichts‘ in Michael Endes ‚Unendlicher Geschichte‘.

   So schnell und so unwiederbringlich wie wohl noch nie in der Erdgeschichte verschwinden Gestalten und Gebilde des wirklichen ‚Phantásiens‘ einer überschäumenden göttlichen Schöpfung. Die Menschen maßen sich heute die großartig-erbärmliche Rolle des Anti-Schöpfers, also des allgemeinen Zerstörers an, und zwar mit der ganzen zivilisatorischen Lust, Unempfindsamkeit und Gründlichkeit, deren die Menschen als angeblich vernunftbegabte und empfindsame Wesen fähig sind - und mit der ahnungslosen Blindheit des Faust, der die Warnungen der Sorge missachtet und in der Illusion, freies Land für freie Menschen zu erschließen, wahrzunehmen unfähig ist, dass die Lemuren keinen neuen Graben für neues freies Land schaufeln, sondern sein Grab.“

Prof. Dr. Dieter Suhr
Immissionsschäden vor Gericht - Dokumente zum Augsburger Waldschadensprozess,
Kehl, Straßbourg und Arlington: Engel Verlag, 1986, S. 41-42.