LESEPROBE 5

Zum Verhältnis zwischen den Grundrechten und der Natur

   „Verantwortung tragen heißt vor allem: Folgen auf sich nehmen, heißt letztlich haften. Andernfalls ist nur die Rede von Verantwortung: leeres Geschwätz, Illusion und Selbsttäuschung.

   Die Menschen müssten also heute, wo sie technisch so mächtig sind wie nie zuvor, auch so verantwortungsfreudig sein wie nie zuvor. Von Verantwortung dürfte nicht nur die Rede sein, sondern die wirklichen Folgen müssten vom Verursacher verantwortet, ausgekostet und getragen werden. Und hier öffnet sich eine verhängnisvolle, unerbittliche und nicht zu überwindende Diskrepanz: Wir sind so mächtig, dass die Wirkungen unseres Tuns praktisch nicht mehr verantwortbar sind. Die Folgen verlieren sich vielmehr im Raum, in der Zeit, bei anderen Menschen und in der Komplexität der Wirkungszusammenhänge. ...

   Heute, wo unsere Mächtigkeit mehr reale Verantwortung und Haftung fordert denn je, sind die schlichten Voraussetzungen dafür schlechter denn je, ganz zu schweigen davon, dass die Menschen von Verantwortung gern reden, sie aber, wenn etwas zu verantworten ist, die Verantwortung noch viel lieber abschieben: Sei es durch fade Ausreden, sei es durch Haftungsausschluss, sei es durch Versicherung. So fällt die eigentliche psychologische Hemmung, mit der wir unsere Macht noch unter Kontrolle halten können, ausgerechnet in dem Augenblick weitgehend aus, in dem wir sie am nötigsten haben.

   Wenn wir verhindern wollen, dass jemand sich zu sehr von seiner Verantwortung freikauft und sich dadurch zu sehr enthemmt zu Verhaltensweisen, die die Umwelt oder Dritte schädigen, dann muss man über die grundrechtlichen Grenzen nachdenken, die der Sozialisierung und Externalisierung von Freiheitsfolgen gesetzt sind.“

Prof. Dr. Dieter Suhr
Grundrechte gegen die Natur - Haftung für Naturgüter? (1987/88),
in: Zeitschrift für Sozialökonomie 190./191. Folge 2016, S. 59-60.