LESEPROBE 4

Kapitalistischer und postkapitalistischer Monetarismus

   „Das Geld, das auf dem Kapitalmarkt verliehen wird, ist mit dem Ablauf von Zeit mehr wert als das Geld, das auf anderen Märkten ausgegeben wird. Die Differenz zwischen dem Nennwert dieses ausgegebenen Geldes und dem auf dem Geldmarkt verliehenen Geld ist der Mehrwert von Geld. Geld ist mehr wert als Geld. Geld hat einen nach Märkten gespaltenen Wert. Zum einen hat es seinen Kaufkraft-Nennwert. Zum anderen hat es seinen Liquiditätspreis pro Zeit. … So öffnet sich zwischen den beiden Werten des Geldes mit dem Ablauf von Zeit eine monetäre Schere. Als Joker unter den Tauschobjekten wirkt das Geld privilegierend im Wirtschaftsverkehr, und der Zins, soweit er Liquiditätsprämie ist, sprudelt als Pfründe aus diesem Privilegium. Daher kann nicht die Rede davon sein, das Geld wirke im Tauschverkehr neutral. … Weil die Liquiditätsprämie dafür sorgt, dass verliehene Kaufkraft der ausgegebenen Kaufkraft davon wächst, bringt sie die transtemporalen Preisgefüge aus dem Gleichgewicht. …

   Weil das Geld auf den Kapitalmärkten ‚mehr wert’ ist als auf den Märkten für Waren und Dienstleistungen, ziehen die Kapitalmärkte Kaufkraft, die die Wirtschaftssubjekt zurzeit entbehren können, besonders stark an. So wird sie von den übrigen Märkten weggesogen. Je reicher die Wirtschaftssubjekte einer Marktwirtschaft werden, desto weniger Geld kommt noch direkt als wirksame Nachfrage auf den Märkten für Waren und Dienstleistungen, Investitionsgüter und Kostbarkeiten an. … Diese Asymmetrie der Märkte kann auf die Dauer nicht gut gehen. …

   Bei alledem handelt es sich um Erkenntnisse, die vor allem von Keynes und seit Keynes recht genau diagnostiziert worden sind …, im Zusammenhang mit der Erkenntnis, dass der Zinssatz von Geldkapital den Standard setzt für die Grenzleistungsfähigkeit von Realkapital. … Elementare Einsichten der ‚General Theory’ sprechen langfristig nicht für, sondern gegen den landläufigen Keynesianismus. Denn der Keynesianismus erreicht nur die Symptome. Die ‚General Theory’ jedoch hat es mit den Ursachen zu tun. Es geht hier um eine keynesianische Alternative zum Keynesianismus: um die marktkonforme und marktbefreiende Abschöpfung des monetären Mehrwerts.“

Prof. Dr. Dieter Suhr
Geld ohne Mehrwert - Entlastung der Marktwirtschaft von monetären Transaktionskosten
Frankfurt/M.: Fritz Knapp Verlag, 1983, S. 8–11.